Lohengrin spielt mit dem Mittelalter
Roman Hovenbitzer hat Wagners LOHENGRIN in ein klares Spiegelbild der Politik unserer Zeit verwandelt. Das Verdienst der Inszenierung ist, dass sie uns geradezu zwingt, durch die alte Geschichte
hindurch auf unsere Gegenwart zu blicken - und genauer über sie nachzudenken. (…) Die Produktion eröffnete die diesjährigen Opernfestspiele Savonlinna mit einer beeindruckenden szenisch-visuellen
Gestaltung. (Helsingin Sanomat/Finnland)
Ein modernes Rittermärchen oder Kunst für alle Sinne
Das mittelalterliche Märchen wird von Roman Hovenbitzer reizvoll modernisiert. Der Regisseur platziert die Geschichte irgendwo zwischen einer vom Volk wieder neu gelebten Ritterromantik und
aufscheinenden Totalitarismen des letzten Jahrhunderts. Die zeitliche Epoche wird nicht konkret beschrieben, jedoch sind Bezüge zum Deutschland der 1930er und 1940er Jahre sowie zum 2. Weltkrieg
mit seiner um sich greifenden Militarisierung mitsamt Zeichen wie Armbinden und Uniformen aufschlussreich und aufrüttelnd.
In einer feudalen Gesellschaft hat jeder seinen Platz, oben oder unten - und diese orientierungslose und resignierende Nation ersehnt eine neue starke Führungspersönlichkeit. In diesem
Machtvakuum erscheint ein namenloser Ritter, der sich nach glücklich gewonnenem Zweikampf schnell und unhinterfragt „Schützer" des Reiches nennen lässt.
Das zentrale Thema der Oper ist Vertrauen. Lohengrins Charakter verkörpert bei Wagner das Ideal von Ritterlichkeit und Heiligkeit. Doch gleichzeitig sorgen sein Geheimnis und die bedingungslose
Liebe, die er von Elsa einfordert, für Spannung und Tragödie.
Hovenbitzers Regie blickt durchaus skeptisch auf Lohengrin und hinter seine strahlende Aura. Lohengrin ist hier ein bildender Künstler, der, kaum an der Macht, dem Staat eine neue Optik verleiht
und das Volk unter dem Symbol des Schwans vereint. Und auch in der Hochzeitsnacht konzentriert er sich lieber auf seine Malerei und Videokunst, anstatt auf die Gefühle seiner Frau einzugehen.
Dass Elsa die verbotene Frage stellt, wird somit nachvollziehbar. In der Schlussszene der Oper verabschiedet sich Lohengrin dann mit einem Coup de theatre, indem er den überdimensionalen
Papierschwan, mit dem er zu Beginn eingezogen war, in Brand steckt und in dessen Flammen verschwindet.
Dieser Lohengrin hinterlässt als Gesamtkunstwerk für alle Sinne einen großen Eindruck.
Wertung: 5 Sterne ★ ★ ★ ★ ★
(matkailulehti/Finnland)
Bestens bewährte Inszenierung
Die diesjährigen Festspiele wurden erfolgreich mit LOHENGRIN eröffnet, einer bestens bewährten Inszenierung, die vor dreizehn Jahren entstand und bereits bei anderer Gelegenheit erfolgreich
wiederaufgenommen wurde. Roman Hovenbitzer (am Regiepult) stellt die dramaturgische Klarheit der Geschichte in den Vordergrund. (…) Hovenbitzer geht eine Richtung, in der sich die Vielzahl der
Ideen nicht zu einem hermetisch abgeriegelten Konzept zusammenfügt, sondern die den Vorzug einer äußersten Lesbarkeit hat und dem Betrachter die Möglichkeit lässt, seine eigenen
Schlussfolgerungen zu ziehen. Er rekonstruiert unter Mitwirkung des Bühnenbildners Hermann Feuchter und des Kostümbildners Hank Irwin Kittel ein Setting zwischen Moderne und Zeitlosigkeit, das
letztlich eine intelligente Aktualisierung jenes Schmelztiegels mittelalterlicher und romantischer Quellen darstellt, in dem Lohengrin Gestalt annimmt. Dies schafft einen wirkungsvollen Kontrast,
der nicht nur ethischer, sondern auch generationsübergreifender Natur ist, zwischen dem Paar Elsa-Lohengrin und dem Paar Ortrud-Telramund (die Welt der Utopie für die Jugend, die Welt der Macht
für die Alten). Auf die ewige Frage, wer Lohengrin wirklich ist (Wagner selbst? der Messias? der missverstandene Künstler?), konzentriert sich Hovenbitzer szenisch auf die letzte Hypothese: Der
Schwanenritter wird als visueller Pop-Artist angelegt, zu unkonformistisch für die Welt um ihn herum, und der wiederum versucht, Elsa selbst ebenfalls in ein, sein Kunstwerk zu verwandeln. Daran
wird letztlich auch ihre Liebe scheitern.
Unter Hovenbitzers vielen Ideen besticht auch das Ende. Während die Inszenierung als "Theater der machtpolitischen Grausamkeit" beginnt, endet sie hingegen sehr poetisch: Das Kind Gottfried kehrt
nach seiner Verwandlung in einen Schwan in seine menschliche Gestalt zurück. König Heinrich nimmt ihn Elsa wieder weg, setzt ihm eine Krone auf und verweigert ihm die Welt der Kindheit, um ihn in
die des Krieges zu katapultieren. Dem Kind gelingt jedoch die Flucht: Das letzte Bild zeigt ihn zusammen mit Elsa, in dem große Schwester und kleiner Bruder mit einem riesigen Spielzeugschwan
spielen. Diese utopisch-libertäre Neuinterpretation kommt der weiblichen Protagonistin der Oper durchaus zugute: Die Figur der Elsa folgt zunächst durchaus traditionellen Linien eher
passiv-unterwürfiger Weiblichkeit, während sie der letzte Akt, ausgehend von ihrem rebellischen Aufbegehren gegen Lohengrin, als eine flexible und kämpfende Liebende zeigt.
(Bellini-news/Italien)
Die Inszenierung des erfahrenen Regisseurs ist bei den Opernfestspielen Savonlinna inzwischen zu einer Art Klassiker geworden. (…) Sie fügt sich nahezu perfekt in die Burg Olavinlinna ein, zeigt großes Gespür für Dramatik und ist auch konzeptionell nach wie vor überraschend aktuell.
Bewertung ★ ★ ★ ★ ★ (Szenenblog | Dänemark)
Der Abend fegt jeden Vorbehalt gegen "die Provinz" vom Tisch.
(Frankfurter Allgemeine Zeitung)
Eine starke Geschichte - dramatisch aktuell
Sie erscheint wie ein Traum, der jedoch dazu bestimmt ist, zu verschwinden: die Liebe des jungen Protagonistenpaares. Roman Hovenbitzer inszeniert den LOHENGRIN, die Eröffnungsaufführung der
diesjährigen Opernfestspiele Savonlinna als Reflektion über die Unmöglichkeit der Liebe. (…) Die Idee des Traums wird sofort durch den Schwan angedeutet, mit dem der kleine Gottfried spielt und
der am Ende wiederkehrt, wenn Elsa und ihr kleiner Bruder erneut mit dem Tier spielen, das zum Symbol dieser mittelalterlichen Legende geworden ist. In der Zwischenzeit entfaltet sich eine starke
Geschichte. Die Ankunft des geheimnisvollen Ritters zu Elsas Rettung; die Geburt einer reinen und absoluten Liebe, die jedoch nur von kurzer Dauer sein wird. Der scharfe Kontrast dieses Gefühls
ist die viel kältere Beziehung zwischen Ortrud und Telramund, die nur durch Machtgelüste verbunden sind. Das klare wie vielschichtige Bühnenbild von Hermann Feuchter und ebenso die modernen wie
zeitlosen Kostüme von Hank Irwin Kittel harmonieren optisch vorteilhaft mit der imposanten Felswand der Burg, die gut als Kulisse für die Bühne dient. Das Finale, das mit dem selbst im Publikum
widerhallenden Kriegslärm bemerkenswert suggestiv ist, trägt dazu bei, das Ende des Traums endgültig zu sanktionieren: Die Unmöglichkeit, die Utopie der Liebe zu verwirklichen, wird durch den
Generationenkonflikt - oft sind es die Alten, die Konflikte auslösen - noch verschärft, der hier noch offensichtlicher und unheilbarer erscheint. Und vor allem: dramatisch aktuell!
(Il ponte/Italien)