Einmal Orient und zurück – Mozarts DIE ENTFÜHRUNG AUS DEM SERAIL wird in Meiningen gefeiert
Die Meininger Inszenierung von Roman Hovenbitzer beginnt als private Beziehungskrise zwischen Konstanze und Belmonte. Doch die politisch kontaminierte Gegenwart folgt vor allem via gängiger Klischee-TV-Bilder unvermeidlich. Während der Ouvertüre läuft Belmonte eher alltagsroutiniert an seiner Frau vorbei, während sie sich offenbar nach Leidenschaft und Abenteuer sehnt. Jedenfalls hinterlegt sie ihm daraufhin einen Brief, samt Ring, auf dem Souffleurkasten und macht sich mit gepacktem Koffer in den Orient davon.
Die Bühne von Christian Rinke ist abstrakt aber sinnstiftend. Ein etwas schiefer Rahmen und dahinter – wie eine Fortsetzung davon – ein drehbarer Container. Mal ist er Büro, mal Appartement mit Traumblick, dann wieder Zelle oder auch Projektionsfläche für die durchweg gut gemachten Videos von Jae-Pyung Park. Die fügen sich zwischen illustrierend, erinnernd, konterkarierend oder die Akteure doubelnd immer passend ein, ohne zu dominieren. Sie haben sogar geistreichen Witz, etwa wenn sich im Kerker, in den Konstanze vorübergehend verbannt ist, immer mehr angedeutete Türen schließen. Den streng arabisch gekleideten Frauen an modernen Computer-Schreibtischen und beim Putzen und einem westlich gekleideten Aufseher-Osmin könnte man so in den Golf-Emiraten begegnen. Dass sich Belomonte als Orientale zu (ver-)kleiden versucht, vermasseln ihm Osmin und seine Bodyguards im Handumdrehen. Mehr Nahost Kostümierung gibt es bei Anna Siegrot nicht.
Balance zwischen Witz und Ernst
Der große Vorzug von Hovenbitzer Inszenierung ist die Balance zwischen szenischem Witz (nicht ohne augenzwinkernde Kalauer) und dem Ernst, der dahinter steht. Die Dialoge sind entsprechend aufpoliert. Wenn Blonde als auch sexuell sehr selbstbewusste West (bzw. in Deutschland: Ost-)Frau dem Macho Osmin dazu bringt, nach ihrer Pfeife zu tanzen, soll heißen selbst die Waschmaschine zu füllen, dann kriegt sie dafür in Meinigen Szenenapplaus. Wenn am Ende nach dem gescheiterten Fluchtversuch alle mit verbundenen Augen vor Osmins finsterer Truppe knien und auf ihre Hinrichtung warten, bleibt jeder Witz auf der Strecke. Wenn sie dann aber nach der Begnadigung durch Bassa Selim sofort wieder in ihre alten Verhaltensmuster verfallen, es sich auf dem heimischen Sofa bequem machen und durch ihren (unseren) Fernsehblödsinn zappen, dann ist das auch eine Diagnose, die für sich spricht.
Hovenbitzers Inszenierung nimmt die Entführung ernst, weil sie sowohl die Verwirrung der Gefühle als auch die Relevanz des politischen Hintergrundes ausleuchtet. Das Finale des zweiten Aufzugs „Es lebe die Liebe“ ist vor allem ein wildes Ansingen gegen die Verwirrung der Gefühle bei den Frauen und die spürbare Verunsicherung bei den Männern. Dieser Osmin, der smarte Bass Daniel Pannermayr, und dieser Bassa Selim, Michael Jeske, wären hier jedenfalls eine ernstzunehmende Alternative für die Frauen. Wenn es nur nach Attraktivität und Fähigkeit zur Leidenschaft ginge….
Das Publikum war begeistert über diese rundum gelungene ENTFÜHRUNG.
(nmz)
Die Welt im Container
Wenn man sich einen Osmin in Mozarts DIE ENTFÜHRUNG AUS DEM SERAIL von 1782 mit Turban, Bart und in einem Aufzug wie dem Kleinen Muck im Märchen vorstellt, dann können die Gewaltfantasien vom Köpfen, Hängen, Spießen usw., die ihn beim Umgang mit den Europäern in seiner Gewalt so überkommen, märchenhaft exotisch wirken. In der Meininger Neuinszenierung dieses „deutschen Singspiels“ von Roman Hovenbitzer kommt der Aufseher im Landhaus des Bassa Selim zwar wie ein klassischer Sicherheitsbeamter hierzulande im Anzug daher. Hinter dieser modischen Fassade ist er aber der fundamentalistische Macho, der Fremden am liebsten allen die Hälse zuschnüren würde, um sich daran zu erfreuen. Nur weil sie Fremde sind, wie er sagt.
Wenn sein Herr Bassa Selim am Ende das eigentlich zum Tode verurteilte Ausländer-Quartett Konstanze, Blonde, Belmonte und Pedrillo begnadigt und ziehen lässt, versteht Osmin die Welt nicht mehr. Er quittiert den Dienst, geht wütend ab und kurz darauf sieht man auf dem Bildschirm die Rauchwolke über einer Explosion aufsteigen. Als Konsequenz der eigenen Radikalisierung?
Wenn dann die realen Nachrichten nach der mit viel Beifall bedachten Meininger Premiere das jüngste Attentat in der Altstadt von Lyon vermelden, dann ist das eine Art von Beleg für die Aktualität der Inszenierung, auf die man gerne verzichten würde.
Auf der Bühne gibt es den Läuterungseffekt, den sich Bassa Selim von seinem Gnadenakt erhofft, offensichtlich nicht. Die Davongekommenen haken ihre kurzzeitige Todesnähe als kleines Malheur schnell ab und quittieren es mit einem Durcheinandergeplapper nach dem Motto „Gerade noch mal gut gegangen“, und bringen sich daheim auf dem Sofa erst einmal auf den neuesten Stand in Sachen heimischen TV-Konsum.
Keine Lektion
Aber keine Angst: Die Inszenierung ist keine didaktisch überdehnte Lektion. Denn diese todernst politische Komponente ist nur eine Seite der Sache. Bühnenbildner Christian Rinke hat das besondere Charisma der Fremde, die Sehnsucht danach und die Furcht davor auf einen Raum-Nenner gebracht. An der Rampe ein schief stehender Rahmen und dahinter ein drehbarer, von vorn und von hinten, aber auch von außen nutzbarer Raumcontainer im gleichen abstrakten Design. Schiffscontainer statt Kutsche und Pferd als mobiles Symbol der Globalisierung. Dazu die geschickt ein-, nie aufgesetzten Videos von Jae-Pyung Park. Das ist der treffende Rahmen für einen Diskurs über den Zusammenprall der Kulturen und der Welt von Männern und Frauen.
Dabei lernen die Frauen durchaus auch die attraktiven Seiten der fremden Männer schätzen. Konstanze etwa verlässt während der Ouvertüre ihren allzu gleichgültigen Belmonte offensichtlich und sucht die Nähe des gebildeten und intensiv um sie werbenden Bassa Selims. Ihre anders gestrickte Freundin Blonde wiederum ringt energisch mit Osmin, für den sie offensichtlich etwas empfindet, um ihm eine Art Beziehung auf Augenhöhe abzuringen. Wenn sie ihm mit wirklich allen Mitteln, die sie hat, sein Machogehabe auszutreiben versucht, dann hat das ziemlichen Witz. Sie auf der Waschmaschine (als „Belohnung“) und Osmin auf dem Boden, beim Wäsche einsortieren. Da kommt die Komödie auf Touren. Oder wenn sich Pedrillo die Partitur schnappt und mitten in der Flucht anfängt „Im Mohrenland gefangen war“ zu singen. Obwohl es Belmonte eilig hat, die Leiter hochzuklettern, um die Flucht nicht zu vermasseln. Pedrillo besteht aber in einem Geplänkel auf Mozart. Und singt die Romanze wirklich sehr schön.
Die emotionale Verunsicherung (so eine Art Cosí-fan-tutte en miniature) kulminiert im Finale des zweiten Aktes, wenn sie sich alle in ihre Fluchtidee hineinsteigern. In dem Geflimmer der Discokugel, bei ihrem forcierten „Es lebe die Liebe“ sieht man auch die Zweifel und die Selbstsuggestion. Hovenbitzer nimmt die Entführung nicht nur in ihrer politischen Dimension mit einem gekonnt aktualisierenden Zugriff ernst und bedient gleichzeitig die Komödie, er nimmt auch die Figuren ernst und macht sie durch seine Personenführung zu lebendigen, in sich widersprüchlichen Charakteren.
Höchst überzeugend
Sie spielen das allesamt höchst überzeugend. (…) Das Publikum hatte seine Freude an dieser Reise erster Klasse.
(Neue Presse/Das freie Wort)