Pressestimmen

Eine aufs Höchste gelungene Inszenierung 

Die Welt ist Weiß und ein bisschen Schwarz. Ist sie das? Nach der Pause wird sie Schwarz und noch ein bisschen Weiß sein: verschmutzt wie schon die weiße Welt, die so weiß nicht sein kann. Nur Otello und Desdemona konnten reinweiß auf die schwarzgraue Szene treten. Im Verlauf der Tragödie, die, genau genommen, keine ist (aber sie ist grausam genug), werden auch der Feldherr und seine geliebte Frau beschmutzt werden: beschmutzt von den Machenschaften Jagos.

Wer sich in Dessau eine szenisch deutliche und musikalisch unterm Strich höchst gelungene Inszenierung des „Otello“ anschaut, wird auch auf den Urheber des Schmutzes hingewiesen, der Otello und Desdemona in die Vernichtung treiben wird. Der Regisseur Roman Hovenbitzer interessiert sich nicht für die psychologischen Gründe für Otellos und Desdemonas Versagen: nicht für seine seelische Disposition, die in seiner Herkunft verankert scheint, nicht für Desdemonas naive Art, mit den Anschuldigungen Otellos umzugehen. Vielleicht hat die Regie Recht, vielleicht sind die beiden Protagonisten wirklich keine Charaktere, sondern noch die Typen, wie sie in der literarischen Vorlage Arrigo Boitos, einer Renaissancenovelle, angelegt sind. Dagegen spricht nicht einmal die Musik Giuseppe Verdis, der seine Figuren mit größter Genauigkeit begleitet hat. Dagegen sprechen auch nicht die teilweise betörenden vokalen Leistungen des Paares. Nein, Hovenbitzer interessiert sich – womit er völlig Recht hat – im Prinzip nur für Jago, den Urheber des Bösen, den Bösen an sich, den Dämon in seiner äußerlich harmlosesten Gestalt, der keine nachvollziehbare Begründung für sein Zerstörungswerk benötigt. Am Ende wird allein er übrigbleiben und noch den letzten Faden ziehen: hinter Otello stehend, wird er kalt lächelnd beobachten, wie sich sein Opfer mit dem von ihm gereichten Dolch erstechen wird.

Er selbst war es, der Otello, sein Schlachtvieh, zu Otellos Opferlamm führte. Schon dieser Gang durch die schwarzen Wände der Drehbühne ist, man muss es zugeben, in der Dessauer Interpretation musikdramatisch zutiefst erschütternd – und abgefeimt und im Grunde unerklärlich ist der Kuss, den Jago, nicht Otello der schlafenden Frau gibt, die gleich durch seine Intrige sterben wird. Der Triumph des Bösen oder Jago, Jago, der Neid und der irrationale Hass. „Jago“, so sollte die Oper ja auch zunächst heißen. Die Interpretation ist stark, sie wird tatsächlich von Jagos letzten Worten nicht widerlegt. Der Mann hat einfach Nerven aus Stahl: bis die Videoprojektion auf dem Gazestoff, ein bewegtes Kunstwerk aus abstrakten Pinselstrichen, nur mehr eine schwarze Wand zeigt.

Jago war schon im Anfang der einzige, der inmitten den orgelpunktfundierten Sturms völlig ruhig blieb. Ulf Paulsen fasziniert szenisch, weil er sich mit der von Verdi und Boito geforderten Wendigkeit mit ungeheurer Eleganz seinen jeweiligen Gesprächspartnern (also seinen jeweiligen Opfern) anzupassen scheint. (...) Nicht nur das Credo klingt erdrückend, doch nicht präpotent in den Saal. Regie und Bühnenbild (Herrmann Feuchter) nutzen die Nummer, um gehörig Asche aus ihr zu pusten: die Silhouette eines primitiv umrandeten Menschen fängt plötzlich an zu brennen; die Asche wird dann von Otello und Jago als Kriegsbemalung ins Gesicht geschmiert. (...) Die Dessauer Bildwelt aber zeichnet sich samt gedrehten Wänden durch das einfache, aber sinnfällige Miteinander von Schwarz, Grau und Weiß aus – und wenn die böse Geschichte eine neue Wendung erfährt, wird die Bühne mit ihrem Zylinder wieder in Bewegung gesetzt.

Es sind immer wieder längere und kürzere Tableaus, die auch über diese Inszenierung entscheiden. Grandios das überlange Kleid (entworfen von Kostümbildnerin Judith Fischer), mit dem Desdemona vor der Serenade hoch über dem Bühnenboden schwebt, bevor der lange Teil von Kinderhänden beschmutzt wird. Später, im Anklagebild des 3. Akts, wird Otello selbst schmutzige Händespuren auf ihrem eigentlichen Kleid, das reinweiß blieb, hinterlassen. Wenn sämtliche Zeigefinger des gesamten Ensembles wütend auf den Ankläger zeigen, und wenn Jago am Ende des auch hier erschütternden Akts den einstigen „Löwen“ mit der venezianischen Löwenfahne bedeckt, ist der Einfall so simpel wie eindrücklich. Was sonst noch auffiel, war ein brennender Türkenkopf, mit dem sich die Meute des ersten Akts vergnügt, mit dem auch Sexy Bianca (Gerit Ada Hammer), die, auch dank Strumpfband, im Grunde nur ein verschleuderbares Objekt militärisch-machistischer Begierden ist, spielen darf. 

Desdemona gewinnt, rein stimmlich betrachtet, in Dessau ab dem 3. Akt eine Fahrt, die nicht mehr aufzuhalten ist. Iordanka Derilova begeisterte mich ab dem Quartett des 2. Aufzugs, in dem sie zeigt, wie dramatische Kraft und Stimmschönheit souverän einhergehen können. Das Lied an die Weide und das Ave Maria, auch ihre Abschiedsworte: das war ergreifendes, großes Kino: als Tod einer Frau, deren seltsamer „Fehler“ darin bestand, allzu blond und rein zu sein und zu denken. Ergreifend: das ist auch der Otello des Ray M. Wade. (...) Mit anderen Worten: Wer nach Dessau reiste, um diesen fein nuancierenden, über gewaltige Mittel verfügenden Sänger zu erleben, der doch das Lyrische kann und liebt, wurde nicht enttäuscht.

Riesenbeifall also für eine gute Produktion des packenden Stücks.

(Der Opernfreund)

 

Der Löwe im Lügentuch

Dessauer Premiere von „Otello“ wird mit einem begeisterten Schlussapplaus gefeiert

Was für ein Drama! Ein sich liebendes Paar – umhüllt vom weißen Brautschleier – liegt am Ende tot am Boden, während der zuvor transparente Vorhang vor ihnen zunehmend in Schwärze versinkt. Und was für ein Triumph! Dass die Premiere von Giuseppe Verdis Oper „Otello“ im Anhaltischen Theater am Samstagabend mit einem viertelstündigen Schlusspplaus bedacht wurde, spricht nach 21-jährigem Warten auf eine Neuinszenierung Bände. Dem Team um Roman Hovenbitzer (Inszenierung) und Markus L. Frank (musikalische Leitung) ist ein großer Wurf gelungen. 

Fetzen in schwarzer und weißer Farbe überziehen wellengleich die Wandsegmente auf der von Hermann Feuchter lautlos wandelbar eingerichteten Drehbühne. Die Farben verwirbeln, mischen sich, dringen ineinander. Auch die Gewänder der Protagonisten (Kostüme: Judith Fischer) sind so gezeichnet. Kaum jemand, der eine blütenreine Weste hat. Selbst die Gesichter tragen von Anfang an diese dunklen oder hellen Male – oder werden sie später erhalten. Sie wirken auf den Wangen und Stirnen wie Wunden, die sich die Menschen im Streben nach Ruhm, Rache, Anerkennung und Liebe zufügen. 

Einzig Desdemona, Otellos Gemahlin, bleibt rein und klar. So wie es der Gesang von Jordanka Derilova ist, die in die Rolle einer Frau schlüpft, die nicht weiß, weshalb an ihrer Tugend und Treue zu zweifeln wäre. In dieser Reinheit wird sie sogar überhöht, als sie bei der Huldigung durch das Volk hoch über den Köpfen der Menschen schwebt. Eine alle und alles überstrahlende Göttin. Doch auch da wird ihr Kleid schon von den Intrigen beschmutzt, die sich in den Niederungen abgründig auftun. Der zynische Fähnrich Jago – Ulf Paulsen gibt ihn als derart diabolischen Meister der Fake News, dass Mephisto seine höllische Freude gehabt hätte – webt seine gespenstische Faser. Der Stoff wird zum Lügentuch, welches Otello, den Löwen Venedigs auf der Insel Zypern, im Zusammenbruch bedeckt. 

Erst verkündet Jago sein Credo: „Ich glaube festen Herzens, dass ich das Böse, das ich denke und bewirke, nach meiner Bestimmung erfülle.“ Dann findet er mit Otello zu einem verhängnisvollen Bündnis, das sie zu nach Blut dürstenden Brüdern der Rache macht. Ray M. Wade – zwischen lyrischer Zugewandtheit und rüder Ablehnung schwankend – wirkt in der Titelpartie wie ein Mann, der nur zu begierig in die ihm gestellten Fallen tappt. Als er ein läppisches Taschentuch – von ihm selbst in den Schmutz geworfen, hatte den Talisman Jagos Frau Emilia (Rita Kapfhammer)  aufgehoben – in den Händen des Hauptmanns Cassio (Kwonsoo Jeon) erspäht, ist durch das falsche Indiz Desdemonas Schicksal besiegelt. 

Man möchte Otello fast entschuldigend zuschreiben, dass ihm in den Schlachten, die er zu schlagen hatte, solche Schrecknisse widerfuhren, dass er unter einer posttraumatischen Belastungsstörung leidet. Sich zunehmend vergessend und den besonnenen Blick verlierend, durch den sich ein Feldherr auszeichnen sollte, bezichtigt er Desdemona beim Eintreffen des venezianischen Gesandten Lodovico (Michael Tews) der Hurerei. Nun sind alle Auswege verbaut. Vergebens versuchen zwei riesige Hände, wie verzweifelt an eine durchsichtig-schlierige Wand geschlagen, ein letztes Mal aus dem Geschehen auszubrechen. 

Vergebens auch versucht Desdemona, von Todesahnungen befallen, nach dem ergreifenden Lied vom Weidenbaum ihre Unschuld zu beteuern. Das Kreuz, zu dem sie flehen könnte, hat ihr Jago, der sie wie ein Nachtmahr umschlich, bereits entwendet. Otello folgt derweil dem Rat des egoistischen Intriganten und erwürgt seine geliebte Frau mit ihrem Brautschleier im Bett, in dem sie angeblich sündigte. Die Erkenntnis, dass er sich irrte, kommt zu spät. Jago („Der Tod ist nichts, ein altes Märchen ist der Himmel.“) reicht ihm noch die Waffe zum Selbstmord. Dann entschwindet der dunkle Geist in der Finsternis. Dem pessimistischen Schluss folgt gleichwohl der uneingeschränkte Jubel im Saal.  

(Volksstimme)

 

Die Unschuld hat es schwer

Schwarz trübt das Weiß in Roman Hovenbitzers Inszenierung

Das Böse beherrscht von Anfang an die Szene. Jagos Boshaftigkeit, seine Menschenverachtung, sein Hass und seine Intrigen sind wie ein schleichendes Gift, das Desdemonas und Otellos Leben und Liebe in den Tod treibt. In der Inszenierung von Roman Hovenbitzer steht Jago im Zentrum des Geschehens, das von Eifersucht, Zynismus und Rachegedanken bestimmt wird. Und er zeigt uns diese Tragödie mit psychologischer Präzision voller Dramatik und Emotion. Dabei versagt er sich jeglichen Naturalismus. In einer von dem Maler Hermann Feuchter aufwändig gestalteten Bühnenwelt, die sich aufgrund von rotierenden Rundhorizonten in kontrastreichem Schwarzweiß sowohl für Massenaktionen wie für intime Szenen bestens eignet, gewinnt die Inszenierung eine überwältigende Symbolkraft. Projektionen von Barbara Janotte unterstützen die Kontraste, die freilich eine dramaturgische Funktion haben: Schwarz steht für das Böse, Weiß für die Unschuld, vermischt sich mit ihr zu Grautönen. Auch Otello und Desdemona werden von den Zeichen des Bösen, die überall sichtbar werden, beschmutzt. Dieses Spiel mit den Kontrasten, auch in den zum Teil futuristisch anmutenden Kostümen von Judith Fischer, ist eine zusätzliche Ebene, die als Metapher für Dramatik des Eifersuchtsdramas und der Intrigen Jagos Wirkung zeigt. (...)

(Orpheus/Das Musiktheatermagazin)

 

„Otello“ löst Begeisterung im Saal aus 

Giuseppe Verdi zur Saisoneröffnung ist immer eine gute Wahl. So wie jetzt dessen Oper „Otello“ in Dessau. Vor allem, wenn man ein Sängerensemble am Haus hat (und auch einsetzt), mit dem man die Hauptpartien hervorragend besetzen kann. (...) Was Markus L. Frank am Pult und Regisseur Roman Hovenbitzer zur Verfügung haben, ist schlichtweg erstklassig und garantiert allein schon, dass der Funke überspringt. (...) Die Bühne von Hermann Feuchter und die Kostüme von Judith Fischer setzen auf einen Schwarz-Weiß-Gegensatz als Symptom für die Verwerfungen eines Außenseitertums. Auf den ersten Blick erinnert das an das Ringen zwischen Gut und Böse. Dahinter aber steht auch das Machtwort des Dogen, der den schwarzen Feldherrn der Mehrheitsgesellschaft vor die Nase gesetzt hatte. Schwarze Farbspritzer auf den Uniformen werden zu Zeichen von Opportunismus und Ressentiment. aus dem sich auch Otello und Jago nicht lösen, wenn sich der eine weiß und der andere schwarz schminkt. Am Ende sind Desdemona und Otello tot, die Bühne ist eingeschwärzt und das Publikum hellauf begeistert.

(Mitteldeutsche Zeitung)

 

Es muss nicht immer der große neue Regiewurf sein, der bewegendes Musiktheater garantiert. Hermann Feuchter und die Kostümgestalterin Judith Fischer versetzen Verdis zweite Shakespeare-Oper in sich drehende stählerne Raumschalen mit Gerüsten und Stangen. Weiß, Schwarz, Anthrazit und Desdemonas goldblondes Har sind die Farben im markant symbolkräftigen Spiel. Am Ende wischt ein breiter Pinsel auf dem Portalschleier die Fläche vor dem toten Paar so tiefschwarz wie die Hautfarbe des Mohren von Venedig. Zu Beginn, im Sturm und dem Huldigungschor der Kinder, glänzt fast alles weiß. Doch wird das auf den Kostümen und im Dekor gebrochen mit schwarzen Linienspuren, die den Rassenkonflikt in ein allgemeineres Spiel zwischen den das Leben beglückenden und vernichtenden Polen verlagert. Regisseur Roman Hovenbitzer stellt den Intriganten Jago so messerscharf in den Mittelpunkt, dass man in diesem „dämonischen Cherub“ denjenigen sehen könnte, aus dessen Inneren sich Desdemona und Otello, sie die helle und er die düstere Urtiefe der menschlichen Psyche, herausfräsen. Gemeint ist mehr als schwarzweißer Dualismus, nämlich existentielle Kontrastschärfe. Dieser Jago ist Otello und seiner hier alles andere als passiv-larmoyanten Desdemona mit intimer, schmerzender Nähe verbunden. Verdammt sind die Drei wahrscheinlich zusammen bis in alle Ewigkeit. (...) 

(Neue Musikzeitung/nmz)

 

„Was ist schwarz und was weiß?“

(...) Doch ganz anders als einem Musikdrama von Wagner steht die Inszenierung von Roman Hovenbitzer in Dessau Shakesspeare und vor allem dem dualistischen humanistischen Gut-Böse-Denken des Freimaurers Arrigo Boito sehr viel näher.

Der Regisseur hat sich durch den Bühnenbildner Hermann Feuchter große sich drehende Raumschalen mit Gerüsten und Stangen in Schwarz und Weiß bauen lassen und die Kostüme von Judith Fischer werden ebenso von den symbolkräftigen, die Bühne beherrschenden Nicht-Farben Schwarz und Weiß  bestimmt. Lediglich ab und zu etwas Anthrazit und vor allem das goldblonde Haar Desdemonas brechen diese immer wieder optisch starken, unerbittlichen Kontraste von Hell und Dunkel. Zu Beginn des Werks, im Sturm und dem Huldigungschor der Kinder, glänzt fast alles noch weiß. Am Ende der Oper wischt ein breiter schwarzer Pinselstrich auf dem Portalschleier die Fläche vor dem toten Paar gänzlich tiefschwarz aus. Das Weiß auf den Kostümen und im Dekor wird aber mit schwarzen Strichen gebrochen. So ist schon optisch nie ganz klar, was oder wer weiß oder schwarz ist. Beide Seiten, Gut und Böse, Hell und Dunkel, gehören untrennbar zum Menschen.

Diese schwarz-weißen Farbkontraste stehen in dieser Inszenierung von Roman  Hovenbitzer aber nicht für den Rassekonflikt zwischen dem schwarzen Mohren von Venedig und der weißen Gesellschaft. Vielmehr zielt die Regie eindrücklich und konsequent auf den ständigen Lebenskampf zwischen erhofftem Glück und unausweichlichem Tod sowie Vernichtung und die helle und die dunkle Seite in jedem Menschen.

Damit rückt der als tragische Figur gezeichnete Intrigant Jago als eine Art Kreuzung von Faust und Mephistopheles wie auch von ersehnter Desdemona-Helle und verhasstem Otello-Dunkel ins Zentrum des fast schon Mysterienspiel-mäßigen Hell-Dunkel-Dramas dieser Inszenierung.

Jago sucht in sich das Helle der Frau Desdemona und das Finstere des Mannes Otello zu vereinen und aufzulösen. Daran scheitern schließlich verhängnisvoll aneinander gekettet alle drei Figuren. Die erdrosselte Desdemona und der Hand an sich legende Otello sind in Jago untrennbar verbunden wie in einer Art ewiger verdammter Trias. Jago wird so zum Ende geradezu zu einem Todesboten mit der Aura des Jenseits. (...) 

Dieser Jago rückt uns in dieser großartigen Interpretation menschlich auf ganz besonders schmerzliche Weise nah.

(IOCO/Kultur im Netz)

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