Beim Barte des Barbiers
Voller Humor steckt diese märchenbunte Inszenierung. Fantasiereich sind die Kostüme. Die Opernpremiere „Der Barbier von Bagdad“ wird im Stadttheater zum Augenschmaus. Auch die Sänger leisten Großartiges.
Willkommen im Tierreich: Das bunteste Bühnenbild der Spielzeit und die fantastischen Details zeichnen diese komische Oper aus.
„Der Barbier von Bagdad“ von Peter Cornelius verwandelte am Samstagabend bei seiner Premiere im Stadttheater das Große Haus in eine nicht gekannte Märchenwelt aus Tausendundeiner Nacht. Der erste Akt spielt im Barte des verliebten Nureddin. Den Bühnenboden bilden die aufgemalten Hautschuppen eines schlecht gepflegten Männergesichts, in dem sich der Chor als Parasiten tummelt.
Regisseur Roman Hovenbitzer und Ausstatter Duncan Hayler arbeiteten bei dieser Produktion zum ersten Mal zusammen – und haben ganze Arbeit geleistet. Mit viel Liebe fürs Sujet haben die beiden das der Oper zugrunde liegende Märchen „Die Geschichte des Schneiders“ in ein wundersames Ambiente verlegt.
Der steinalte Barbier Abul (famos: Bass Philipp Meierhöfer) fungiert mit Miraculix-Bart und im Silberfischkostüm zunächst als Gärtner, dann als Schildkröte, danach als handlungsverweigernder Rasierer und schließlich als Bogen spannende Figur, die den Inhalt des Stücks zusammenhält. Nureddin (Tenor Clemens Kerschbaumer bewältigt die auch physisch anstrengende Mammutpartie mit Aplomb) tobt als Biene mit pollenbehangenen Oberschenkeln über die Bühne, seine angebetete Margiana (bezaubernd: Sopranistin Karola Pavone) ist anfangs ein Blütenstempel, ehe die Liebe sie in einen Schmetterling verwandelt. Ihre Vertraute Bostana (die schönste Stimme des Abends gehört Mezzosopranistin Marie Seidler) wühlt sich als Maulwurf aus der Unterwelt. Kadi Baba Mustapha (cool und stark: Dan Chamandy) kommt als Skorpion daher, der Chor gibt im zweiten Durchgang eine wohltönende Zwiebelschar. Als Deus ex Machina rollt der Kalif (prächtig: Bariton Grga Peros) auf einem Elektro-Scooter herbei und sorgt für den versöhnlichen Schlusspunkt. Die Wolken im zweiten Akt und anderes mehr sind eine Reminiszenz an die legendäre Komödiantentruppe Monty Python. Auch die Slapstickeinlagen mögen’s very british: etwa die Geierpuppe, die den wie tot wirkenden Nureddin im zweiten Akt zu verspeisen droht. Sie steckt auf Kerschbaumers linker Hand.
Ebenfalls alle Hände voll zu tun haben die Techniker auf dem Schnürboden und unterhalb der Bühne: Maulwurfshügel öffnen und schließen sich, allenthalben schwebt etwas von oben herab oder entschwindet in die Höhe: riesige Scheren, Schmetterlinge, Wolken mit einem Elefanten drin, baumstammdicke Barthaare. Am Ende fliegen Nureddin und Margiana flügelschlagend im Liebesrausch umher. (...) Die ruhige Passage, als sich Nureddin und Margiana zum ersten Mal treffen und lieben, gelingt dank dreier Tänzerinnen wunderbar. Sie umhüllen die Turteltäubchen als schwingende Blütenblätter (Choreografie: Bärbel Stenzenberger) und verschaffen so der Szene Tiefgang.
„Der Barbier von Bagdad“ hat optisch das Zeug zum Dauerbrenner. Für das humoristische Spektakel gilt: Augen auf und durch!
(Giessener Allgemeine)
Dringliche Bestäubungsvorgänge
Eine Graswurzel-Inszenierung von Peter Cornelius’ „Barbier von Bagdad“ in Gießen. Aus tausendundeiner Zwiebel sprießen während der Ouvertüre glatte, lange Gewächse in den Bühnenhimmel, einer breiten Rasiermesserklinge des orientalisierten Klingenherstellers El Wilkinson entgegen. An den Oberschenkeln des schwarzgelb gestreiften Nureddin hängen dicke Pollenpäckchen, Margiana trägt auf dem Kopf eine Krone aus Staubblättern und Stempel, die einladend und zart wippen und auf Bestäubung warten. Was ja Bienen mit Blüten bekanntlich tun. Die Ausstattung zu Peter Cornelius’ „Der Barbier von Bagdad“ im Gießener Stadttheater ist verspielt und surreal.
Heute allerdings sind Bärte und einige Kleidungsstücke längst wieder politisch markierte Phänomene. Roman Hovenbitzer hat in seiner Gießener Inszenierung das selten gespielte und zutiefst unpolitische Stück in diesen überpolitisierten Zeiten in eine Region verlegt, in der Politisches keine Rolle spielen kann: In eine Welt von Käfern, Maulwürfen, dicken Knospen und Keimlingen. Die simple Handlung – Nureddin ist rettungslos Margiana, Tochter des Kadi, verfallen und umgekehrt, ein gutwilliger, aber aufdringlicher und hinreißend dämlicher Barbier, der die Liebenden gern zusammenbringen will, schafft es beinahe, alles zu versemmeln – hat hier etwas ganz und gar Kreatürliches. Es geht vor allem um die gefühlte Dringlichkeit von Bestäubungsvorgängen und die zivilisatorische Leistung scharfer Klingen. Duncan Haylers Ausstattung verleiht mit sehr englischem Humor der Geschichte einen Graswurzel-Appeal. Alles ist voller kriechender, krabbelnder Kreaturen, voll Blütenstaub, Mohnkapseln, dichter Haarwälder. Bostana, die Vertraute der Margiana, ist als Maulwurf, Margianas Vater als Darth-Vader-Hirschkäfer ausgestattet, im Barbier mischen sich eine Schildkröte (mit praktisch abnehmbarem Rückenpanzer als Barbierbecken) und ein Druide. Alles wirkt ein bisschen kindisch und ist wunderbar überdreht – aber so ist die Liebe nun mal, sie verändert, wie wir wissen, die ganze Welt und verleiht am Ende den Liebenden echte Flügel.
(Frankfurter Rundschau)
Absurde Insekten- und Blumenzwiebelwelt
Heute reden wir vom Nahen Osten und meinen Politik. Dem geht der Regisseur Roman Hovenbitzer konsequent aus dem Weg und damit hat er bei diesem Stück vollkommen Recht. Es ist eine absurde Fantasy-Welt, die in Gießen auf der Bühne steht. Es ist ein absurder Stoff und dem kann man auch mit solchen Figuren bestücken, die es im wirklichen Leben eigentlich nicht gibt. Die kennt man aus dem Comic oder aus dem Zeichentrick. Es ist eine schräge Insekten- und Blumenzwiebel-Welt, sehr absurd und immer bunter und bunter. Das ist sehr phantasievoll gemacht, sehr ironisch gebrochen. Und auf Dauer, wenn man auch anfangs etwas überrascht ist und denkt „Was soll das?“, ist es doch letztlich sehr, sehr zündend, witzig und sehr schön anzuschauen.
(hr2 kultur)
(...) Das 1858 in Weimar von Franz Liszt aus der Taufe gehobene Meisterwerk des Dichterkomponisten Peter Cornelius ist eines der schönsten Geschenke gerade auch für kleinere Häuser. Die haben jedoch stets gezögert, es anzunehmen. (...) Das Stadttheater Gießen hat nun dieses Geschenk an- und ausgepackt und eine szenische Produktion des Stückes auf die Beine und die Bretter gestellt. Und siehe da: Das vermeintliche Schmerzenskind macht eine hervorragende Figur! Die nicht erhebliche, aber vergnügliche und theaterwirksame Handlung am Originalschauplatz spielen zu lassen, würde freilich eine unzulässige Verharmlosung der Verhältnisse im heutigen Irak bedeuten. Roman Hovenbitzer hat also gut daran getan, das Geschehen in ein skurril-fantastisches Paralleluniversum zu verlegen, das in den fantasievollen Kostümen von Duncan Hayler mit ihren bauschigen Beinkleidern und blumenzwiebelähnlichen Turbanen die eine oder andere Erinnerung an das Reich aus „Tausendundeiner Nacht“ bewahrt. (...) Das alles ergibt eine kuriose Mischung aus „Biene Maja“ und Science-Fiction-Komödie, torkelt zweieinhalb Stunden lang gekonnt zwischen Sinn und Unsinn hin und her und ist am besten mit einem kindlichen Gemüt zu genießen. (...) Allen, die sich davon überzeugen wollen, dass es für Freunde deutscher Opernromantik außer der Wahl zwischen einem betulichen Biedermeier und einer nebulösen Sagenwelt noch andere Alternativen gibt, ist ein Besuch dieser hörens- wie sehenswerte Produktion wärmstens zu empfehlen.
(Das Opernglas)
Im Land der 1001 Zwiebeln
Roman Hovenbitzer verzichtet in seiner Inszenierung auf orientalisches märchenhaftes Flair und macht aus den 1001 Erzählungen 1001 Zwiebeln, die auf einem Feld ausgesät werden und zu Blumen heranwachsen könnten, wenn nicht irgendwelche Schädlinge dies vorher verhindern würden. So sieht man den Barbier bereits beim Orchestervorspiel als alten Gärtner mit langem Rauschebart auftreten und eine große Zwiebel einpflanzen. Das Bühnenbild und die Kostüme von Duncan Hayler greifen dieses Naturmotiv in einer mikroskopischen Vergrößerung wieder auf. Ein ironischer Stilbruch sind dabei die überdimensionale Wilkinson-Klinge im Hintergrund des Zwiebelfeldes im ersten Akt und die beiden riesigen Scheren und der Kamm im Palast des Kadis im zweiten Akt, die auf das Handwerk des Barbiers anspielen sollen. Der Chor krabbelt wie überdimensionale Blattläuse direkt zu Beginn des ersten Aktes über die Bühne und verhindert, dass die ausgesäten Zwiebeln sich zu roten Blumen entwickeln. Wenn der Barbier dann bei Nureddin erscheint, um ihn zu rasieren, kriecht er als eine Art Schildkröte sehr langsam über die Bühne. Der Schildkrötenpanzer besteht aus mehreren Schalen, die wohl seine sechs Brüder repräsentieren, die er allesamt durch Liebesleid verloren hat. (...) Dem Publikum scheinen die aufwändig gestalteten Kostüme, das bunte Bühnenbild und die Verlagerung in eine Fantasiewelt bestens zu gefallen, so dass die zahlreichen Gags der Regie mit begeistertem Lachen goutiert werden.
(Online Musik Magazin)
Die Drogen will ich auch – in der Insektenwelt
Wann kam ich das letzte Mal so dermaßen beglückt aus der Oper? Lange ist’s her. Nun ist’s geschehen. Zum einen liegt es natürlich an der wunderschönen Musik von Peter Cornelius, aber vor allem an der grandiosen Inszenierung von Roman Hovenbitzer (der ja auch schon die wundervolle Inszenierung von Gustave Kerkers „Die oberen Zehntausend“ in Gießen gemacht hat). Denn da, wo die „komische Oper“ (wie auch bei komischen Musiktheater-Ausflügen von Zeitgenossen der Wagner und Berlioz) wenig komisch klingt, ist eben die Regie gefragt! Was bekommen wir nicht alles zu sehen. Dieser Barbier von Bagdad spielt im Wald, da gibt es Maulwürfe, der Barbier Abul Hassan z.B. ist ein Käfer, aus dessen Panzer aber auch schnell ein Friseurwaschbecken wird, da gibt es Käfer, Schmetterlinge, Bienen und aus all dem, und manchem, was ich nicht identifizieren kann, zaubert der Regisseur eine witzige, amüsante, köstliche Geschichte um die schlimme Krankheit, an der Nureddin eben leidet, nämlich der Liebe. Hier und da wirkt das ganze schon, als hätte Cornelius es unter Drogeneinfluss geschrieben. Das greift der Regisseur auch immer wieder auf, und die Inszenierung wirkt auch hier und da wie ein „Trip“.
(Opernloderer)