Einsam auf der Höhe der Kunst: Ernst Kreneks „Jonny spielt auf“ am Theater Hagen
Nein, eine optimistische Oper ist Ernst Kreneks "Jonny spielt auf" nicht. Auch wenn der Komponist selbst in seinem Bandgeiger aus Amerika eine Figur des Urwüchsigen, Ursprünglichen und Freien gesehen hat. Roman Hovenbitzer inszeniert am Theater Hagen die fast neunzig Jahre alte Erfolgsoper äußerlich als Künstlerdrama, im Kern aber als ein Stück über gespaltene Welten und Selbsttäuschungen. Max, der Komponist, ersteigt einen Gletscher, bewegt sich auf der Bühne von Jan Bammes in einem weiß erstarrten, zerklüfteten Gebirge aus gestapelten Partituren vor einer abweisend geschlossenen, riesigen Eiswand. Er steht auf der Höhe seiner Kunst, aber erstarrt und einsam. Die Begegnung mit der Sängerin Anita imaginiert er vorher: Er stellt sie in einem Bühnenmodell nach.
Ein Theater – Raum der Träume, der tieferen Wahrheiten? (...) So markiert Bammes – unterstützt durch seine eigenen Kostüm-Kreationen – Schauplätze als sinnliche Verdichtungen geistiger Zustände und schafft Räume, wie sie nicht häufig glücken. (...) Dieser Jonny ist kein Sympathieträger, sondern ein kleiner Gauner. Er nimmt sich, was er braucht; er beansprucht alles, was "gut ist", für sich. Jonny lebt die Entwurzelung, "Heimat" ist für ihn eine flüchtige Erinnerung. Sein Umfeld ist das Hotel, das Symbol der unsteten Existenz moderner Menschen. Seine Liebe ist die flüchtige sexuelle Begegnung; seine Musik der Katalysator der neuen Zeit.
Dem Team des Theaters Hagen gelingt es, Kreneks Werk aus dem Ruch der "Zeitoper" zu befreien: Was 1927 Ahnung, Hoffnung, Faszination war, ist heute nicht nur Rückschau, sondern lässt an die Bruchstellen der Gegenwart und die Unsicherheiten der Zukunft denken: Es gibt sie immer noch, die Leute wie den Stargeiger Daniello, die selbstgefällig das kulturelle Erbe für sich ausschlachten, oder die Manager, die bei der Kunst vor allem das tolle Geschäft im Auge haben.
Aber dieser Jonny bleibt bei Hovenbitzer nicht in einem selbstreferenziellen "Künstlerdrama" stecken. Im Blick auf einen ambivalenten Freiheitsbegriff, aber auch in der Kritik an einem dualistischen Begriff vom Leben steckt Relevanz für die Gegenwart. Wenn der Chor am Ende den Anbruch einer neuen Zeit, die Überfahrt ins unbekannte Land der Freiheit besingt, setzt Bammes den Menschen die patinagrünen Strahlenkronen der Freiheitsstatue auf. (...) Der Gletscher reißt auf und verschwindet am Ende im Dunkel einer Sternennacht, deren blinkende Lichter nur billige Goldfolie sind. Und Max springt in letzter Sekunde auf den Zug auf, mit dem Anita Richtung Amerika abreist. Ob es der Zug ist, "der ins Leben führt", bleibt offen.
Es hat etwas vom Bild des geigenden Todes, wenn Jonny auf seiner gestohlenen Amati der alten Welt das Farewell spielt, während auf der Bühne ein Traum zerbricht und die szenische Klammer zum Beginn hergestellt wird – ein überraschendes Bild, das für Deutungen offen ist … Wieder ist dem Theater Hagen in seiner seit mehreren Jahren gepflegten Serie von Opern des 20. Jahrhunderts ein großer Abend gelungen. Und erneut der Nachweis, wie wichtig solche kleineren Bühnen für das kulturelle Leben eines Landes sind. Bei den politisch derzeit aktiven Kulturvernichtern wird das – wie andere Hagener Erfolge, von Previns "Endstation Sehnsucht" (2008/09) über Carlisle Floyds "Susannah" (2011/12) bis Samuel Barbers "Vanessa" (2014/15) – wohl wenig Eindruck hinterlassen. Zu Optimismus besteht kein Anlass.
(Revierpassagen)
Hagen zeigt Kreneks Oper „Jonny spielt auf“ als Konflikt zwischen elitärem Kunstideal und Unterhaltung
(...) Regisseur Roman Hovenbitzer und Hagens hervorragender Bühnenbildner Jan Bammes sind ein bewährtes Team, das überraschende Theatererlebnisse garantiert. Hier kombinieren sie das romantische Motiv vom einsamen Berg als Sehnsuchtsort unverstandener Künstler mit Motiven aus den Schwarz-Weiß-Verfilmungen trivialer Heftchenkrimis aus den 1960er Jahren wie Jerry Cottons „Schüsse aus dem Geigenkasten“.
Der Konflikt zwischen ernster und unterhaltender Kunst wird auf der Drehbühne in eine Vielzahl von Schauplätzen übersetzt. Denn die zahlreichen Verwandlungen zwischen Berg, Hotel und Bahnhof bieten eine Herausforderung für jede Inszenierung, und Jan Bammes greift tief in seine Zauberkiste, um nicht nur den Gletscher zu bauen, sondern auch einen D-Zug in Krimibilder zu übersetzen, während Roman Hovenbitzer das Ensemble inklusive Chor und Emma-Peel-Tänzerinnen taktgenau führt.
(WAZ)
Das Theater Hagen präsentiert erfolgreich „Jonny spielt auf“
(...) In der Inszenierung von Jonny spielt auf von Regisseur Roman Hovenbitzer für das Theater von der deutschen Stadt Hagen kollidiert die romantische Kunstauffassung des egozentrischen Komponisten Max heftig mit der neuen modernen Massenkultur.
Max ist der eigentliche Held der Oper und deren romantisches Zentrum. Seine Welt ist ein Alpengletscher, der auf der Drehscheibe von Hovenbitzers Bühnenbildner Jan Bammes durch einen großen Berg von Noten symbolisiert wird. Ein brillanter coup de théâtre Hovenbitzers ist es, wenn die Statuen aus dem Büro von Max diesen auf dem Gletscher vom geplanten Selbstmord abbringen.
Die individuell-verinnerlichte Welt von Max trifft hart auf die Massenkultur der Metropolen und den rauschhaften Konsum des amerikanischen Jonny. (...) Das Finale schließlich funkelt mit Glanz, Glamour, einer Disco-Kugel und dem Wort Freiheit in golden-verheißungsvollen Lettern. Das Theater Hagen hat sich oft mit einer mutigen und erfolgreichen Programmierung bewährt. Auch dieser „Jonny spielt auf“ ist eine Reise in die deutsche Stadt wert!
(Opera Nederland)
Die amerikanische Oper ist am Hagener Theater seit etlichen Spielzeiten ein Fixpunkt des Repertoires. Zu den Werken aus jüngster Zeit gehören Kurt Weills „Street Scene“ und Samuel Barbers „Vanessa“. Jetzt offeriert man Ernst Kreneks „Jonny spielt auf“.
(...) Für die Hagener Erstaufführung sind Erfolg und Begeisterung allerdings nachdrücklich zu bestätigen. (...) Dem Sujet eignet viel Kolportagehaftes, es atmet auch „Tatort“-Milieu, wirkt in summa aber für heutigen Geschmack doch schon etwas angegilbt.
Das Introduktionsbild im Hochgebirge hat etwas Abgehobenes, Irreales an sich. Die exotische Zeitgebundenheit versucht die Inszenierung (ständiger Regiegast in Hagen) einzufangen, und es gelingt ihr auch nachdrücklich und fantasievoll. Der Hausausstatter Jan Bammes arbeitet ihm nicht zuletzt mit schicken Kostümen (auch für den Chor) wirkungsvoll zu. Besonders gelungen ist ihm die Glitzerwelt der Berge, wobei das Gestein aus lauter Folianten besteht, das Schaffen von Max symbolisierend. Video-Einblendungen in Schwarz-Weiß imaginieren Stummfilmzeiten.
(Der Opernfreund / Der neue Merker)
Als 1938 die Nazis nach der „entarteten Kunst“ auch die „entartete Musik“ in einer Ausstellung brandmarkten, da war es jener schwarze Jonny, der als Inbegriff für „Negermusik“ herhalten musste. Daran und auch an den seltenen Aufführungen mag es liegen, dass Ernst Kreneks Erfolgsstück „Jonny spielt auf“ von 1927 bis heute das Etikett der Jazz-Oper anhaftet. In Wahrheit steckt wenig dahinter. So scheint es durchaus legitim, wenn Regisseur Roman Hovenbitzer einen weißen Jonny auf die Bühne im Theater Hagen schickt. Auf das Saxofon aber verzichtet die Regie nicht. (...) Hovenbitzer inszeniert mit feiner Ironie, handwerklicher Finesse und ohne historisch-politische Bezüge außerhalb des Librettos.
(Ruhrnachrichten)
Kreneks Oper “Jonny spielt auf” begeistert in Hagen
Das Theater Hagen hat sich schon des Öfteren durch eine mutige und kluge Programmpolitik hervorgetan und Kritikerlob dafür eingeheimst. Im 25. Todesjahr des Komponisten Ernst Krenek ist es nun vorgeprescht und hat am Samstag dessen Oper “Jonny spielt auf” als Neuproduktion auf die Bühne gebracht.
(...) Roman Hovenbitzers Inszenierung überzeugte im zweiten Akt deutlich mehr. Hier fand der Regisseur am dramatischen Kulminationspunkt der Oper wirklich geniale Chiffren, die das szenische Geschehen nicht nur bebildern, sondern es entschlüsseln. Auch das Schlussbild, das den ganzen Hokuspokus letztendlich entzaubert und die hochfliegenden Träume des Protagonisten symbolisch zerstört, bleibt in Erinnerung.
(...) Insgesamt lohnt sich eine Fahrt nach Hagen, hier wird mutiges Musiktheater auf einem ausgezeichneten Niveau gemacht.
(Musik heute)
Hovenbitzer erzählt die Geschichte ganz stark als eine Geschichte von Theater auf dem Theater; die schnellen Wechsel der Schauplätze, der Bahnhof, das Hotel, der Gletscher, das wird alles mit einfachen Mitteln sehr gekonnt als Bühnenversatzstücke erkennbar. (...) So eine Lösung „Theater auf dem Theater“ ist natürlich für so ein buntes und revuehaftes Stück, was diese Oper natürlich auch ist, immer eine gute Möglichkeit, die Geschichte geschmeidig zu erzählen. Und das gelingt auch in Hagen in dieser Arbeit von Roman Hovenbitzer. Das ist nie langweilig, das bietet ungeheuer viel. (...) Diese Arbeit, wenn man sie sieht, wenn man sie erlebt, sie funktioniert gut.
(WDR 3 / Mosaik)
Die Einsamkeit des Tenors im vom Foxtrott bedrohten Hochgebirge
Ernst Krenek war der Sensationserfolg seiner 1927 uraufgeführten Oper "Jonny spielt auf" alsbald suspekt. Als "Jazzoper" etikettiert (...) traf das Werk wohl vor allem durch die raffinierte Unterwanderung der traditionell pathetischen Oper mit zeitgenössischer Gebrauchsmusik und einer trivialisierten Handlung zwischen Hotel und Bahnhof den Geist der 1920er-Jahre einschließlich der Vision vom vermeintlich besseren Amerika. So eindeutig sah der Komponist das freilich überhaupt nicht. Dass er in der Oper mit dem Komponisten Max ein Sinnbild für seine eigene Suche nach der "richtigen" Musik schuf, hebt Regisseur Roman Hovenbitzer in dieser Hagener Neuinszenierung explizit hervor: Er lässt diesen Max mit einem Bühnenbildmodell des ominösen Gletschers aus dem Stück heraustreten und versinnbildlicht so, dass es hier um Kreneks ureigenstes Ringen mit der musikalischen Tradition geht. (...) Sinnfällig ist der Gletscher, den Ausstatter Jan Bammes sehr eindrucksvoll gebaut hat, ein Gebirge aus Partituren, über denen eine Fläche wie ein überdimensioniertes zerknülltes weißes Blatt liegt - die übermächtige europäische Musiktradition, an der Max wie sein Schöpfer Krenek zu scheitern drohen (und die Max letztendlich doch ins Leben zurück ruft). Als Gegenpol dazu fügen sich im Finale der Oper in einer großen Revue übermächtige Lettern zum Wort LIBERTY zusammen, vor denen der Jazzbandgeiger Jonny (der hier, anders als bei Krenek, kein Farbiger ist) das letzte Wort hat. Die vermeintliche Freiheit wartet hinter dem großen Meer im fernen Amerika.
Hovenbitzer zeigt die klassische Dreieckskonstellation als metaphorisches Künstlerdrama: Die Sängerin Anita zwischen zwei Männern, nämlich dem von heiligem Ernst beseelten Komponisten Max und dem zunehmend abgehalfterten und oberflächlichen Virtuosen Daniello (der im wahrsten Wortsinn unter die Räder, und zwar die der Eisenbahn kommen wird), mit dem Instinktmusiker Jonny als irritierendem Dritten. Realistische Räume, die eine zeitliche Einordnung ermöglichen, vermeidet die Regie. (...) Stattdessen interessiert sich Hovenbitzer für den Kontrast der unerschütterlich ruhigen Gletscherwelt und der schnelllebigen Moderne mit ihren eigenen, von Auto- und Eisenbahnverkehr geprägten und hier durch verschwommene Videoeinblendungen visualisierte Rhythmik. Den Schwachpunkt der Oper, nämlich dass dem Jazzband-Musiker Jonny die adäquat provokative Musik fehlt, die zu neuen Ufern führen könnte, kann und will er nicht kaschieren. (...)
Hovenbitzers Regie legt manche Spur aus und führt das Werk behutsam in die Moderne, schönt aber auch die Schwächen nicht – keine überwältigende, aber eine interessante und hörens- wie sehenswerte Aufführung.
(Online Musik Magazin)
Gänsehautmomente
Insgesamt lohnt sich eine Fahrt nach Hagen. Hier wird mutiges Musiktheater auf einem ausgezeichneten Niveau gemacht. Und auch wenn die Inszenierung im ersten Akt ein wenig schwächelt, die inszenatorischen coups de théâtre im zweiten machen diesen Makel mehr als wett. Da bietet dieser Hagener Jonny eben jene Gänsehautmomente, derentwegen man in die Oper geht.
(RONDO – Das Klassikmagazin)
Hovenbitzer sieht das Werk, durchaus im Sinne Kreneks, als Künstlerdrama, jedoch als Drama des Komponisten Max, während Jonny eine eher dekorative Rolle einnimmt. Dass sich Krenek Jonny als Minstrel vorgestellt hat, also als schwarz geschminkten Weißen und bewusst mit „Neger“-Klischees gespielt hat, wurde dem Komponisten als „rassistisch“ und von den Nazis als „freche jüdisch-negerische Versudelung“ vorgeworfen. Dieses Problem interessiert Hovenbitzer nicht, indem er Jonny als weißen Showman darstellen lässt, eher in der Tradition Frank Sinatras als der Louis Armstrongs. (...) Hovenbitzers Personenführung besticht durch ihre Sorgfalt.
(...) Die Inszenierung ist dezent und detailgenau ausgearbeitet. (...) Das Publikum reagiert mit freundlichem, wenn auch nicht überschwänglichem Beifall. Insgesamt keine so sensationelle Produktion wie die der im letzten Jahr, aber ein weiterer Beleg für die ambitionierte und hochwertige Arbeit des Theaters Hagen, die es freilich leicht haben wird, sich die Herzen eines größeren Publikums zu erobern.
(Opernnetz)
Spannende Oper, intelligente Regie, interessante Musik
(...) Wie kann man das nachvollziehbar auf die Bühne bringen? Die Umsetzung auf der Hagener Bühne gibt die beste Antwort.
Keine Frage: Alles ist gut gelungen, dank der kreativen und sorgfältigen Arbeit des Regisseurs Roman Hovenbitzer, der schon mehrfach in Hagen eine Oper auf die Bühne gebracht hat. Er verlebendigt die faktenreiche und oftmals verworrene Handlung, macht sie ohne Probleme nachvollziehbar, gibt dem Publikum aber auch etwas zum Nachdenken.
(Deianira – Das Kulturportal)
Hovenbitzer bringt Ernst Kreneks Erfolgsoper der späten 1920er Jahre, "Jonny spielt auf", als kurzweilige Revue über die Bühne des Theater Hagen. (...) Da, wo Kreneks Musik auf der 2½-stündigen Strecke ein wenig Spannung verliert, hilft das, von Roman Hovenbitzer verantwortete Bühnenspektakel gekonnt weiter, das ganz im Sinne Kreneks ist. (...) Hovenbitzer entfernt sich da, wo es peinlich werden würde, von den Krenekschen Vorgaben, verschiebt zudem einige Szenen in revueartige Aufbauten. (...) In einer Hinsicht allerdings greift die Hagener Inszenierung recht gründlich in die Vorlage ein: In Kreneks Libretto ist Jonny "der Neger Jonny", eine reichlich rassistische Karikatur, in den 1920ern meist von einem blackfaced Sänger vorgestellt. Hovenbitzer umschifft mit einiger Nonchalance das Problem, das Kreneks Rassismus für heutige Einrichtungen stellt, indem er Jonny zu einem Weißen macht, was ansonsten aber nur marginale Eingriffe in die Textvorlage verlangt. (...) Sehr freundlicher Applaus des Premierenpublikums.
(Die rheinische Kulturraumverdichtung)