Im Bann der bösen Betschwestern
Das Theater Hagen zeigt Carlisle Floyds Oper „Susannah“ jetzt in einer Inszenierung, die so gut ist, dass man von einem Theaterwunder sprechen kann.
In dieser Produktion stimmt einfach alles: Ein herausragendes, hoch motiviertes Ensemble, eine kluge Regie und ein geniales Bühnenbild verbinden sich zu einem nachhaltig berührenden Abend.
Der US-Komponist Carlisle Floyd war gerade mal 28 Jahre alt, als seine „Susannah“ 1955 uraufgeführt wurde. Heute wird das Stück neben Gershwins „Porgy and Bess“ als amerikanische Nationaloper gewertet. In Europa ist „Susannah“ dagegen kaum bekannt.
Das wird sich durch die aufsehenerregende Hagener Inszenierung sicher ändern.
Regisseur Roman Hovenbitzer belässt die Geschichte am Originalschauplatz: den 1950er Jahren in einem kleinen Dorf im ländlichen Tennessee. Die politischen Hexenjagden der McCarthy-Ära schaffen zusammen mit christlichem Fundamentalismus ein Milieu extremer geistiger Enge: der Nährboden für eine Neuauflage der alttestamentarischen Susanna-im-Bade-Tragödie.
Hovenbitzer, der in Hagen bereits mehrere großartige Inszenierungen entworfen hat, ist ein Meister der Kunst, mit ganz reduzierten Mitteln intensive Gefühle zu erzeugen. Dabei entstehen Bilder von überwältigender Sogkraft und Sprachmacht. Am Anfang feiert das Dorf. Die bildschöne 19-jährige Susannah tanzt Squaredance, eine Sau wird geschlachtet, und in einer Ecke tratschen die lokalen Giftspritzen. Immer dann, wenn sie die junge Frau verleumden, friert die Szene auf dem Tanzboden ein, das Licht verliert alle Farben. So wird unter dem Deckmantel der Frömmigkeit das Böse gesät. Jan Bammes hat dazu eine phantastische abstrakte Bühne aus Holzpaletten gezaubert. Der Tanzboden hängt an Seilen und kann gehoben, gekippt und gedreht werden. Das Licht, das durch die Ritzen sickert, formt in seiner gitterartigen Struktur geometrische Räume, die wie Gefängniszellen wirken. Hovenbitzer analysiert die psychologische Mechanik der Ächtung Susannahs millimetergenau: wie die Gruppendynamik eine Versammlung von Scheinheiligen nach einem Sündenbock schreien lässt, wie sich unter dem Druck der schwülen Bigotterie geile Gedanken zu unwahren Anklagen wandeln, wie bereits in den hässlichen Bemerkungen der alten Weiber ein Gewaltpotenzial steckt, das schließlich zur Katastrophe führen muss. (...)
Wenn schließlich nach eindreiviertel Stunden atemloser Spannung die Männer mit den Fackeln kommen, ist es plötzlich kein Theater mehr, sondern gefühlte beklemmende Wirklichkeit, die jeden Tag und überall passieren kann.
(Westfälische Rundschau)
Mit der Premiere von »Susannah« wird das Theater Hagen nun erneut seinem guten Ruf gerecht, sich als Aufführungsspezialist der hierzulande in den Spielplänen so gering berücksichtigten amerikanischen Opern etabliert zu haben.
Wie in den letzten Produktionen der Hagener Amerika-Reihe hat auch diesmal wieder Roman Hovenbitzer die Inszenierung übernommen und mit seinem Team eine knisternde und betroffen machende Sozialstudie konzipiert.
Auf einer simplen Holzbühne genügt die weitere etwas kleinere Spielfläche aus Holzlatten, die entweder flach aufgelegt, hochkant gekippt oder unter die Bühnendecke gezogen den öffentlichen Tanzplatz, den Polk-Garten und die dörfliche Kirche fixiert. In diesem schlichten und zugleich sehr wirkungsvollen Ambiente mit markanten Licht- und Schatteneffekten entwickelt sich in unaufhaltsam zuspitzender Dynamik die tragische Katastrophe.
Die Regie zeichnet die Dorfcharaktere psychoanalytisch scharf, knallhart sezierend, folgt der verleumdenden Saat durch üble Nachrede in Stillstandmomenten und Zeitlupenabläufen, und das typgerechte und intensiv agierende Ensemble baut ein sich hochschaukelndes Horror-Szenario auf, in dem die ohne Pause gespielten zwei Akte wie im Flug vergehen. »Susannah« gehört in den USA nach »Porgy and Bess« zu den meistgespielten Werken heimischer Komponisten. Wer die Hagener Produktion miterleben konnte, versteht, warum das so ist.
(Das Opernglas)
Geschlossene Gesellschaft
Roman Hovenbitzer macht aus Susannah ein zeitloses Stück. (...)
Man könnte Carlisle Floyds Oper Susannah als historisches Zeitdokument verstehen, als Ausdruck des Protestes gegen die McCarthy-Ära in den 1950er Jahren: die USA unter einem Mantel aus Blei. Doch wenn man ganz aktuell den ultrakonservativen Präsidentschaftskandidaten vom Format eines Rick Santorum zuhört, gewinnt Susannah eine fürchterliche Aktualität: noch mehr religiöser Fundamentalismus, noch verschärftere reaktionäre Ansichten über die Gesellschaft und deren Freiheit werden als Programm ausgegeben. Nicht zu unterschätzen der grassierende demagogische Einfluss der Medien.
Hovenbitzers Inszenierung erreicht mit ganz sparsamen Mitteln große emotionale Wirkung. Die Bewohner von New Hope Valley, dem Ort des Geschehens, sehen ganz traditionell aus, wie eine Mischung aus rückwärtsgewandten Amish-People und evangelikaler Landbevölkerung mit nationalistischen Kokarden am Revers. Aber so denken und fühlen viele ja noch heute. Und glauben an einen verführerischen Teufel, ans Fegefeuer, hoffen auf Erlösung. Das wird ihnen von einem Prediger eingebimst, der sein Maul so weit aufreißt wie er seine Kasse offenhält - eine wie stets unheilige Allianz aus Gott und Mammon. Mit dem Evangelium als Drohbotschaft! Wer ausschert aus dem so unsäglich selbstgerechten Kollektiv, wird buchstäblich gnadenlos gejagt und fast bis in den Tod getrieben. Susannah ist kurz vor dem Selbstmord. Erst recht, als der ach so gottesfürchtige Prediger sie vergewaltigt – und ihr die Jungfräulichkeit raubt! Seine Bitte um Verzeihung wird von Susannah nicht gewährt, stattdessen durchsieben ihn die rächenden Kugeln aus dem Gewehr von Susannahs Bruder Sam Polk. Der Mob von der Straße reagiert seinerseits und fackelt Susannah ab, wie auf einem züngelnden Scheiterhaufen, wie eine Hexe. Um Schuld und Unschuld, Gerechtigkeit, gar Wahrheit geht es da schon längst nicht mehr. (...)
Hagen setzt mit Floyds Susannah seine ambitionierte Reihe mit Inszenierungen amerikanischer Opern fort und verbucht mit dieser neuesten Produktion einen außerordentlichen Erfolg.
(THEATER PUR)
Hexenjagd am Bible Belt
Am Theater Hagen wird Mut belohnt: das Premierenpublikum feierte „Susannah“ und alle beteiligten Künstler mit stehenden Ovationen. (...)
Vater des Erfolgs ist Regisseur Roman Hovenbitzer, der in der eindrucksvoll schlichten, handfesten Dekoration von Jan Bammes die verleumderische Hetzjagd auf das lebenslustige, natürliche Mädchen im evangelikal engstirnigen Dorf in den Bergen Tennessees als allgemein gültige, zeitlose Parabel im Stil Brechts inszeniert. Die zehn kurzen Szenen der Tragödie werden auf offener Bühne mit wenigen Handgriffen verwandelt. Eine Schräge aus groben Holzplanken ist Dorfplatz, Kirche, Wohnstube, Wiese mit Bach. Eine zweite, mobile Plattform wird Tanzboden, Raumteiler, Zimmerdecke. Darüber ein Banner: „Du sollst den Herrn deinen Gott lieben und deinen Nachbarn wie dich selbst“.
(Die deutsche Bühne)
Die Reihe „Amerikanisches Musiktheater“ wurde am Theater Hagen jetzt fortgesetzt mit Carlisle Floyds 1955 uraufgeführter, zweiaktiger Oper Susannah, und, um es vorwegzunehmen, es wurde ein ganz großer Erfolg. (...)
Roman Hovenbitzer hat das Werk in Szene gesetzt, stringent, verständlich und mit einer sehr beeindruckenden Personenführung. Zusammen mit seinem Ausstatter Jan Bammes, dessen verblüffend einfaches Bühnenbild schnelle Umbauten der zehn Szenen gewährleistet, gelang ihm eine spannende, musikdramatische Realisierung mit viel Raum für die individuelle Entfaltung aller handelnden Personen. (...)
Das Publikum im nahezu ausverkauften Haus war begeistert und feierte die spannende, berührende Produktion sowie alle Mitwirkenden mit herzlichem Applaus.
(IOCO / Kultur im Netz)
Das Stadttheater Hagen wächst gerade bei seinen mutigen Projekten immer wieder über sich hinaus, so jetzt bei dem neuesten Beitrag seiner amerikanischen Reihe: Carlisle Floyds selten gespielter Oper "Susannah" aus dem Jahre 1955. (...)
Lediglich eine Bretterbühne aus Paletten und ein veränderbares Segment stellt Jan Bammes der Inszenierung von Roman Hovenbitzer zur Verfügung, durch geschickte Beleuchtung und kleine Veränderungen durch Requisiten wird der jeweilige Handlungsort in schnellen Wandlungen sofort erkennbar, Bammes Kostüme huldigen dem historischen Realismus der strengen Religionsgesellschaft des Ortes. Ebenso auf den Punkt bringt Hovenbitzer seine Regie, immer bei den Darstellern, ohne jegliche Mätzchen, dabei geschickt ausdrucksvolle Tableaus aufbauend. (...)
Ein absolut runder Abend! Das Publikum, sichtlich bewegt, zollt seinem Theater und seinen Künstlern nach dieser mitreißenden Vorstellung einen wahrhaft frenetischen Applaus. Eine Fahrt nach Hagen und ein Besuch von "Susannah" seien hiermit unbedingt empfohlen.
(Der Opernfreund)
US-Oper mit großer emotionaler Wirkung
„Susannah“, jene in Amerika unglaublich häufig gespielte Oper von Carlisle Floyd, wurde jetzt am Theater Hagen in einer Inszenierung von Roman Hovenbitzer mit umwerfendem Erfolg aufgeführt.
(Westfälische Nachrichten)
Das Theater Hagen, innovativ wie kaum ein anderes dieser Größe, hat mit Floyds heute wieder beklemmend aktuellem Werk seine verdienstvolle Serie amerikanischer Opern fortgesetzt. (...) In Hagen erzählt Roman Hovenbitzer mätzchenfrei in sehr prägnanten, knappen Szenen. Die in den Untergrund verbannten sexuellen Begehrlichkeiten zeigt Hovenbitzer in verstohlenen Andeutungen, psychologisch schlüssig beobachtet. Das Ende schärft der Regisseur mit einer Anleihe an Lars von Triers religiös geladenen Film „Dogville“, der eine ähnliche Problematik behandelt: Der Mob legt einen Brand, Vergebung und Barmherzigkeit gibt es keine.
(Die Tagespost)
Bigotterie in der Kleinstadt
Das Theater Hagen hat einen neuen Star. Jaclyn Bermudez rockt die Stadt ausgerechnet mit einer Oper, die zu den ungeliebtesten in Deutschland zu gehören scheint. Doch mit der Hagener Inszenierung hat Roman Hovenbitzer ein Signal gesetzt. (...)
Wer die Szenerie mit unverstelltem Blick betrachtet, erkennt, insbesondere im Fortgang der Handlung, immer weniger, dass es sich hier um eine „typisch amerikanische“ Umgebung handelt, sondern fühlt sich mehr und mehr in ein beliebiges Dorf in der Eifel, im Sauerland, im Thüringer Wald, ja, in eine deutsche Kleinstadt versetzt. Seit wann gehörte die Angst vor dem anderen, dem Unbekannten, nur nach Amerika? Damit haben wir Deutschen ja unsere ganz eigenen Erfahrungen. Dies herauszuarbeiten, eben darin mag die Inszenierungskunst Hovenbitzers liegen: (...) Wir erfahren damit die Handlung auf der Bühne umso intensiver, beklemmender. Diese Inszenierung ist eine Liebeserklärung an Jaclyn Bermudez, und sie bedankt sich angemessen. Sie spielt die Susannah, bei aller Vorsicht vor Superlativen: atemberaubend. Von der heiteren Unbeschwertheit der jungen Frau bis zur Tragödie der Geschändeten lässt sie das Publikum kaum Luft holen, packt mit fein nuanciertem Spiel. Es ist ihr Abend.
(Opernnetz)
Unbedingt sehenswert!
(Revierpassagen)
Roman Hovenbitzer geht es in seiner gelungenen Inszenierung letztlich um die Anprangerung einer einem ausgeprägten religiösen Fundamentalismus hörigen Gesellschaft, deren bigottes und heuchlerisches Verhalten zunehmend reaktionäre und bösartige Züge annimmt und damit dem traditionellen Wertesystem rigoros zuwiderläuft. Dabei wird deutlich, dass derartige Missstände nicht nur der McCarthy-Ära anhafteten, sondern auch heute noch in verschiedenen Gesellschaftssystemen zu finden sind. (...)
Die Handlung spielt sich in einem nüchtern anmutenden Raum mit nach hinten ansteigendem Bretterboden ab. Geometrische Formen und angedeutete Gitterstäbe bestimmen die Szene. In diesem symbolischen Kerker sind die meisten Handlungsträger Gefangene - und zwar ihrer selbst, ihrer Intoleranz und ihrem wahnhaften Eifer. In diesem Ambiente zeigt der Regisseur die Mechanismen eines nachhaltig aus dem Ruder gelaufenen Kollektivsgedankens auf und spürt den Ursachen einer fatalen Gruppendynamik nach, die ungebremst letztlich jeden gnadenlos ins Verderben führen müssen. Um Freiheit des Willens gegenüber kollektiven Zwängen geht es hier, um den Kampf des Individuums gegen eine Gesellschaftsordnung, deren Fundamente recht fragwürdiger Natur sind. Susannahs Schicksal steht stellvertretend für alle aus der Gemeinschaft Ausgestoßenen, die es gewagt haben, der in ständiger geistiger Kurzsichtigkeit verharrenden Masse hellsichtig zu trotzen, sich gegenüber dieser aber letztlich nicht behaupten konnten. Die im Hintergrund quer über die Bühne verlaufende Schrift „Love the Lord thy God and thy neighbour as thy self“ wirkt unter diesen Voraussetzungen wie blanker Hohn. Das ihr von den Ältesten vorgeworfene sündhafte Verhalten ist letztlich nur eine auf sie gerichtete Projektion - Feuerbach lässt grüßen - der sündhaften Gedanken und sexuellen Begierden der Männer, für die sie einen Katalysator benötigen und diesen schließlich in Susannah finden. Hier driftet die Inszenierung gekonnt in psychologische Gefilde ab, die dem Ganzen eine ganz eigene und delikate Würze geben und auch das pessimistische Ende prägen. Es gelingt Hovenbitzer nachhaltig, mit sparsamen Mitteln packendes Musiktheater auf die Bühne zu stellen, wobei er die überzeugend gezeichneten Figuren logisch und stringent zu führen weiß.
(Der Opernfreund)