Wie es zugeht in der Welt
Mitreißendes Musiktheater: Umjubelte „Rigoletto“-Premiere im Bielefelder Stadttheater
(...) Dass die Handlung einer Katastrophe entgegen treibt, steht keinen Augenblick in Frage. Der Narr ist der Gehörnte. Die Unschuldige ist tot. Roman Hovenbitzers „Rigoletto“-Inszenierung durchleuchtet eine Männerwelt, deren Eisbergspitzen die Strauss-Kahns und Berlusconis sind. Während der Ouvertüre erlebt das Publikum bereits den Höhepunkt der Oper als überdimensioniertes Schattenspiel: die Ermordung Gildas durch Sparafucile. So wird das „Melodramma“ in den Status einer Rückblende versetzt, und das Publikum sieht sich in eine paradoxe Situation gestellt. Mitgerissen von Verdi´scher Illusionskunst findet es sich wieder in der Rolle des Beobachters, der gezeigt bekommt, wie der Keim des Lebens in einer Flut von Obsessionen erstickt. Der Herzog von Mantua und sein Hofstaat erscheinen als veritabler Männerclub, für den die Hauptregel der Brecht´schen Opernstadt Mahagonny gilt: „Vor allem aber achtet scharf, dass man hier alles dürfen darf!“ (...)
In einer Art papierener Puppenstube hält Rigoletto seine Tochter Gilda gefangen, auf dass sie männlichen Gewaltakten nicht anheimfalle. (...)
Gespenstische Bilder verfolgen die Protagonisten wie schwärmende Racheengel. Zwei Personen stilisiert die Regie zu Figuren, die aus der „Commedia dell´arte“ zu stammen scheinen: Sparafucile und seine Schwester Maddalena. Der „Todbringer“ erinnert an den grotesken Conferencier aus „Cabaret“. Diese beiden Maskierten greifen dirigierend ins Geschehen ein und vor allem: mit gestischen Mitteln führen sie eindrucksvoll vor: „Seht her, wie es zugeht in der Welt!“ und sind somit ein Garant für das Regiekonzept. (...)
Das Publikum applaudiert stehend. Große Begeisterung.
Mit der Rigoletto-Premiere hat das Theater Bielefeld einen großen Coup gelandet. Das Solisten-Ensemble bewies Klasse; die Herren des Opernchors entledigten sich ihrer hoch anspruchsvollen Aufgabe mit Bravour; Bühne (Hermann Feuchter) und Kostüm (Roy Spahn) leisteten einen stimmig-klugen Beitrag zu Roman Hovenbitzers subtiler Regie-Tat. Der Inszenierung gelang es, das Scheitern obsessiver Lebensmodelle allgemein gültig und zeitlos zu entfalten, zugleich aber Denkanstöße zu geben, wo das zersetzende Prinzip; Alles ist erlaubt; in der Gegenwart am Werke ist. (...)
Die „Rigoletto“-Premiere am Theater Bielefeld überzeugt als Gesamt-Kunstwerk.
(Neue Westfälische)
Zerbrechliche Puppe in einer feindlichen Welt
Zu einem Kulturereignis von Rang geriet die Inszenierung von Verdis „Rigoletto“ am Bielefelder Stadttheater
In düsteren Farben und nüchternen Formen gestaltete Regisseur Roman Hovenbitzer das Opernfresko vom Hofnarren, der seine Tochter an die entfesselten Hofschranzen verliert. Er hob das Werk im hochdramatischern Zugriff aus den Niederungen der Gruselstory in den Rang einer menschlichen Tragödie. Mit energischem Strich zeichnete er die flirrende Halbwelt hemmungsloser Erotik, in der der Herzog von Mantua in derber Lüsternheit seine Liebesdiener regiert. Unentwegt umkreisen auf der doppelten Drehbühne die bedrohlichen Masken des Kollektivs das in strenger Klausur abgeschottete Mädchen, das schließlich erobert und vergewaltigt wird.
In handfestem Realismus deutet Hovenbitzer das Liebeswerben des Herzogs als sexuelle Eroberung einer Wehrlosen, die nach Sparafuciles Mördertat als unschuldiges Opfer auf der Walstatt bleibt. (...) Das Premierenpublikum war hellauf begeistert und dankte mit stehend dargebrachten Ovationen.
(Die Glocke)
Liebe ist nur ein Wort
Regisseur Roman Hovenbitzer und Bühnenbildner Hermann Feuchter siedeln Verdis Rigoletto in einer kalten, heruntergekommenen Umgebung an. Der Herzog und sein Gefolge tummeln sich in einer Art Turnhalle mit Sprungpferd und Ringen, einem Boxring und Mikrofon zum Karaokesingen. Dort treiben sie allerlei Spielchen, auch sexuelle. Champagner fließt, er wird gern aus allen möglichen Körperteilen des femininen Gegenübers geschlürft. Eine (Männer-) Gesellschaft hat sich hier zusammengefunden, die ihre Lustfantasien offenbar nur substituieren kann. Es ist nicht nur eine kalte, sondern auch eine schnelle Welt. Die halbrunden Bühnenelemente geraten in Drehung, Wände öffnen und schließen sich und der Herrenchor erscheint als eine Ansammlung maskierter Rächer, der im zweiten Teil zum Chor in einer griechischen Tragödie mutiert. (...)
Es gelingt dem Regieteam die Trostlosigkeit und Festgefahrenheit der Situationen deutlich zu machen. So sitzt Gilda fest zwischen zwei völlig auf sich bezogenen Männern, die sie beide nur für sich selbst wollen. Der Herzog appelliert an ihre attraktive Fraulichkeit - Rigoletto bringt ihr Puppen, damit sie ihm als ewiges Kind verfügbar bleibt. In der Zuspitzung dieses Konflikts (...) gelingen Hovenbitzer die besten Momente seines Rigoletto. Am Ende ist Gilda die einzige, die sich aus der erstarrten Situation lösen kann. Sie steigt eine hohe Leiter empor und verschwindet letztendlich am Bühnenhimmel im Nebel. Ein starker Augenblick, ein wunderschön ins Bild gesetzter Befreiungsakt. Zurück bleibt ein zwar zutiefst trauernder, aber auch völlig verständnisloser Rigoletto. (...) Das Premierenpublikum dankte mit Standing Ovations.
(Theater Pur)
Diese Inszenierung ist spannend und hochinteressant, unkonventionell, schlaglichtartig, mit krassen Szenenfolgen wie in einem Film.
Sie nimmt den Zuschauer mit in ein düsteres und dekadentes Netz aus Unmoral und Lügen, in dem man von vornherein weiß, dass es zur Katastrophe kommen wird. Ein unter die Haut gehendes Musik- und Bühnenerlebnis.
(Kulturinfo Lippe)