Deutschland sucht Supersänger von Nürnberg
Kann die Kunst uns retten? Gar die Gesellschaft erneuern? Richard Wagners, der enttäuschte Revoluzzer von 1849, glaubte daran
und hat seiner Vision in „Die Meistersinger von Nürnberg“ ein prachtvolles Denkmal gesetzt. Handwerk, Wissenschaft und Kunst erschienen ihm im Nürnberg des 16. Jahrhunderts vollkommen versöhnt. Resultierte dort aus gemeinschaftlicher Kunstausübung doch ein selbst organisiertes Zusammenleben. In seiner Neuinszenierung an der Oper Kiel spürt Roman Hovenbitzer nun konsequent im Lichte der Gegenwart Richard Wagners alten Fragen nach: Stiftet die Kunst heute noch Identitäten? Er kommt am Ende zu einer humorigen wie kulturpessimistischen Antwort. Zwar darf auf der finalen Festwiese ganz im Sinne des charismatischen Versöhners Hans Sachs das Volk demokratisch mitbestimmen, wer das Rennen macht in einem Wettbewerb des megaaktuellen Formats "Deutschland sucht den Supersänger". Doch verkommt das emphatisch überströmende Preislied des Gewinners Walther von Stolzing zur medial vermittelten Massenware: Meistergesang als Kitschkommerzkunst, Tradition im Ausverkauf. Das holde Paar Evchen Pogner und Junker Stolzing posiert umrankt von einem überdimensionalen Herzen. Es regnet rote Rosen. Hans Sachs wendet sich resigniert ab. Seine Vermittlung des altväterlichen meistersingerischen Regelwerks mit dem Kreativitätsschub durch den jungen Junker Stolzing hatte er sich anders vorgestellt. Zumal dieser Sachs in Gestalt und Stimme des überragenden, die Mammutpartie mit kerngesund strömendem Bass-Bariton meisternden Ralf Lukas ein Mann in besten Jahren ist, der für Eva (Susan Gouthro als sopranzwitschernd blondes Kurzhaargirlie) eigentlich die bessere Wahl wäre. (...) Dafür setzen die Bühnenbilder von Tilo Steffens treffende Zeichen. Die Singschule des ersten Aufzugs spielt im Museum. Die Meistersinger, die Regisseur Hovenbitzer liebevoll individualisiert, hegen und pflegen die Alten Meister. Die Schattenseiten deutscher Traditionen durchleuchtet die Regie im zweiten Aufzug und führt die kleinbürgerliche Gemütlichkeit grillender Kleingärtner und deren gefährlichen Auswüchse vor. Hans Sachs' Wahnmonolog, in dem Georg Fritzsch mit seinen Philharmonikern zu einer feinen Lyrik des orchestralen Erzählens findet, wird in seinem von griechischen Statuen umsäumten Atelier zur erschütternden Reflektion eines Unzeitgemäßen.
(DIE WELT)
Meisterliche "Meistersinger": Evas Apfel und die Ware Kunst
Stoff zum Nachdenken: Roman Hovenbitzer inszeniert Wagners "Die Meistersinger von Nürnberg" in Kiel
Der Kraftakt ist geglückt. Im Kieler Opernhaus erntet die von Georg Fritzsch geleitete Aufführung von Richard Wagners komischer
und melancholischer Oper „Die Meistersinger von Nürnberg“ berechtigt großen Jubel für Orchester, Chöre und das imposante Solistenensemble. Sechs Stunden, die auch polarisieren: Roman Hovenbitzers aufwendig profilierte und aktualisierende Regie-Arbeit muss auch Buhs einstecken. Es ist eine Inszenierung, die viel will und schafft: eine aufgepeppte Oper mit etlichen Gags und einigem Stoff zum Nachdenken. Ach Eva, hättest Du doch nicht so herzhaft in den Apfel gebissen. Und schon gar nicht gemeinsam mit deinem coolen Adam und Minnesänger Walther. So aber verliert das piefige Paradies Nürnberg knutschend seine Unschuld. Ausgerechnet in der Ehrenhalle, in der die Meistersinger bewahren, was die Geschichte der Kunst hergegeben hat, in der Heroenmumien liebevoll konserviert und der Nachwuchs in Gehörbildung gedrillt wird, riecht es für Momente gefährlich nach erosgesteuerter Aufmüpfigkeit statt nach dem Muff der tausend Jahre. Dabei zeichnet das inspirierte Team von Gastregisseur Roman Hovenbitzer die kleine Welt der Meister keineswegs als ewig gestrig. Sie stecken nicht in Lederwämsen, starren nicht durch Butzenscheiben. Man hat es zumindest schon weit ins 20. Jahrhundert gebracht, schult mit Tonbandgeräten, spielt mit den Medien, schätzt die Bauhaus-Architektur.
Wer möchte, erkennt in ihnen buntbemützte Muthesius-Granden und jungdynamische Kieler Dichter genauso wie ausgefuchste Phantastische Realisten oder erblindete Soul-Stars. Nur - so die Botschaft - haben sie sich in ihrer Weltkulturerbe-Pflege inzwischen allzu wohlig eingerichtet. Kunst ist längst zur hippen Edelware verkommen, Musik zum populistischen Event, garniert mit Sponsoren-Tafeln, Nummerngirls und Hot-Dog-Verpflegung. Bühnenbildner Tilo Steffens und die Kostümbildnerin Henrike Bromber baden das Auge so aufwendig wie lustvoll in Klischees. Unter den Künstlern finden sich auch der Oberlehrer Fritz Kothner und der hanseatische Pfeffersack Veit Pogner. Das gemeine Volk feiert das Johannisfest unter abgestorbenen, aber immerhin grün gestrichenen Baumstümpfen munter als Grillfest im Camper-Look. (...) Hans Sachs, dem Richard Wagners ganze Sympathie gilt, setzt sich rasch zwischen alle Stühle. In seinem tiefergelegten Dichter-und-Denker-Tempel muss er versuchen, den zerstörerischen Wahn der Welt zu kitten, die Kunst vor Erstarrung, aber auch vor formlosem Übereifer zu schützen. Er ist Seelenklempner (mitsamt Psychocouch), Diplomat und Intrigant, Vaterfigur und einsamer Witwer. Neun sind aus Marmor, eine aber lebt: In Eva sieht Hans Sachs seine zehnte Muse. Es ist außergewöhnlich, wie es Hovenbitzers Regie und vor allem der Sopranistin Susan Gouthro gelingt, die oft unterbelichtete Figur aufzuwerten. Gouthro trifft ihren leichten Sinn, aber auch das Hin-und-hergerissen-Sein und das aufleuchtende Glück perfekt. (...) Die Figur des Sixtus Beckmesser, Sachsens Gegenspieler und Walthers Konkurrent, (...) gewinnt tragische Größe, ist nicht lächerliche Karikatur, sondern eher ein verblendeter, sympathischer Unglücksrabe. Generalmusikdirektor Georg Fritzsch und den extrem geforderten Kieler Philharmonikern macht es hörbar Freude, das Geschehen kontrapunktisch orchestral zu kommentieren. (...)
Am sinnlichsten aber dirigiert Fritzsch, wenn es ernst wird: zum Beispiel im Vorspiel zum dritten Akt, in dessen Quintett oder zum vermeintlich ungebrochen affirmativ in C-Dur jubelnden Schluss. Letzteres geht Hand in Hand mit einem geschickten Regie-Schachzug: Hans Sachs, gleichermaßen empört über den Ausverkauf der Kunst als Event-Ware wie über die Geringschätzung der Meister-Tradition durch Walther, hält seine berühmt-berüchtigte Schluss-Ansprache „Verachtet mir die Meister nicht“ hier nur zum Teil ans „Heil!“-dröhnende Volk. Vielmehr zieht er die Neuerer Walther und Eva hinab in den Ehrenkeller, wo ihn düstere Ahnungen übermannen. Da wundert sich die Eva, beißt lieber doch noch mal in den Apfel der freien Liebe. Doch ihre Unbekümmertheit ist dahin. Und das ist wohl auch besser so.
(Kieler Nachrichten)
„Verachtet mir die Meister nicht und ehrt mir ihre Kunst!“ – (...) vergebliche Mühe. Der schlaksige junge Ritter ist spaßorientiert und will „ohne Meister selig sein“, seinen eigenen Weg gehen. „Heil Sachs! Nürnbergs teurem Sachs!“
Gastregisseur Roman Hovenbitzer setzt andere Akzente, um das Stück zu beenden. Das Szenario gleitet zurück in den Ehrenkeller, in dem die Aufführung begonnen hatte. Der Chor tritt in den Hintergrund, Stolzing mit der Geliebten Eva Pogner und Sachs allein im Gewölbe. Erstere unbekümmert, respektlos, mit dem Apfel der freien Liebe und dem Lorbeerkranz spielend, letzterer einsam, ungehört, unverstanden. Er legt sich schließlich in eines der Schubfächer zur ewigen Ruhe, in eine Reihe neben die längst verblichenen Meister. Ein pessimistischer Schluss, der nachdenklich macht – deutet er doch auf drohenden Verlust von Tradition und Qualität. (...)
Dem Theater Kiel ist eine Meisterleistung gelungen – sowohl von der musikalischen als auch von der inszenatorischen Seite her. (...) Ebenso präzis nah an Musik und Text überließ der Regisseur nichts dem Zufall, entfachte ein Feuerwerk an guten Ideen und gedanklicher Tiefe. (...) Doch schon im zweiten Akt nahm die Spannungskurve bis zum Schluss einen zwingenden Verlauf.
Jede Kleinigkeit war durchdacht bis hin etwa zum Notenständer Beckmessers, der vor seinem Liedvortrag gleichzeitig zum abwärts gleitenden Triller im Orchester nach unten rutscht. Das Bühnenbild von Tilo Steffens und die Kostüme von Henrike Bromber: stimmig und opulent. Erstklassige Sängerdarsteller trugen das Konzept leidenschaftlich mit.
(Das Opernglas)
Armer Hans Sachs! Da hat er sich so engagiert um einen Ausgleich zwischen Regelstarre und Ursprünglichkeit in der Dichtkunst bemüht. Aber als er Walther und Eva ermahnt: "Verachtet mir die Meister nicht", hören sie ihm nicht zu, denken nur an sich selbst und suchen ihr Glück anderswo. (...) Damit schließt sich ein Kreis, der in der Halle eines Hauses der Kunst begonnen hat, mit dem Bühnenbildner Tilo Steffens die ursprünglich vorgesehene Kirche ersetzt. Da werden die vereisten Meister der Vergangenheit sorgfältig gepflegt, aber auch Singschüler mit Tonbandgeräten und Kopfhörern unterrichtet. Und da versammeln sich die Meistersinger, um den Wettstreit um Evas Gunst zu planen. Doch Meister Pogner brauchte seine Tochter eigentlich gar nicht mehr anzupreisen, denn sie ist längst in festen Händen. Wälzt sich mit ihrem verzogenen Sonnyboy Walther schon am Boden. Da eine Werbung um Eva sich erübrigt, läuft das weitere Geschehen als Farce ab - allerdings, auch mit Henrike Brombers Kostümen verschwenderisch ausgestattet, äußerst abwechslungsreich, unterhaltsam und amüsant. (...) Die als Bühnenspektakel hinreißende Volksbelustigung auf der Festwiese mündet darin, dass Walthers Preisgesang gleich zum Hochzeitslied umfunktioniert wird. Walther nimmt seine Ablehnung der Meisterehrung nicht zurück, findet sie eher lächerlich. Auch das macht die Oper zu einem Endspiel der überholten Kunst.
(Flensburger Tageblatt)